Ich schätze Frans de Waal sehr dafür, wie er kontroverse Themen wie diese mit seiner Erfahrung als Verhaltensforscher in der Primatologie so verständlich und sachlich vermitteln kann. Dabei bringt er in diesem Buch, vielleicht etwas mehr als sonst, auch eigene persönliche Erfahrungen und Sichtweisen ein. Seine ruhige Art zu argumentieren wirkt klärend und ausgleichend in der manchmal hitzigen Debatte um die biologisch und kulturell bedingten Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschlechtern.
Denn ein großer Teil des Buches dreht sich um die Frage, inwieweit geschlechtstypische Verhaltensweisen biologisch begründet sind (also z.B. über Hormone und damit einhergehende körperliche Ausprägungen) und wie stark äußere Einflüsse wie die Erziehung und soziale Erwartungen uns prägen. Wie schon in seinen anderen Büchern kritisiert de Waal das vorherrschende Schwarz-Weiß-Denken, das nur ein Entweder-oder zulässt, denn richtigerweise werden unsere Verhaltensweisen durch beides geformt. Er begründet seine Thesen mit zahlreichen Beispielen aus der Anthropologie, Psychologie und Primatologie, wobei er betont, dass natürlich nur Letzteres sein Fachgebiet ist, er diese Wissenschaft aber auch für am unverfälschlichsten hält. Dennoch wurde auch gerade die Verhaltensforschung lange dafür missbraucht, eine misogyne Weltanschauung zu bestärken. In dem Zusammenhang schildert Frans de Waal den Aufruhr in der von Männern dominierten Welt der Wissenschaft, als immer mehr Verhaltensforscherinnen die Bühnen der Konferenzsäle betraten und neue Sichtweisen mit einbrachten. Plötzlich stand nicht mehr der kämpferische Affenmann als Beschützer der Herde im Mittelpunkt der Forschung, sondern es wurde auch der Einfluss der Affenfrauen innerhalb des sozialen Gefüges wahrgenommen. Und festgestellt, dass der Affenmann im Notfall gar nicht als Beschützer agiert, sodass man wohl eher davon ausgehen kann, dass seine Kraft und sein Imponiergehabe vielmehr dem Konkurrenzkampf um die Fortpflanzungsrechte dienen.
Die Anfänge der Bonobo-Forschung räumten dann auch mit dem Missverständnis auf, der Mensch sei mit dem Schimpansen am nächsten verwandt und daher sei eine von Männern dominierte Gesellschaftsform für uns ganz „natürlich“. Es ist genetisch nachgewiesen, dass wir gleichermaßen mit Bonobos verwandt sind – und Bonobos sind matriarchalisch organisiert, trotz physisch überlegener Männer. Nicht zu vergessen: der Mensch ist keine evolutionäre Weiterentwicklung des Menschenaffen, sondern wir, die Schimpansen und die Bonobos sind einfach nur unterschiedlich abgezweigte Entwicklungen vom selben Vorfahren. Das erklärt Gemeinsamkeiten genauso wie Unterschiede.
Was ich ganz besonders wichtig in seiner Argumentation finde: die Biologie, unsere Gene, sind kein Grund für die Legitimation bestimmter Rollenvorstellungen oder Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Seine Ausführungen sind viel zu weitreichend, um sie in einer Rezension zusammenzufassen. Am besten liest man dieses Buch selbst. Es ist spannend, humorvoll und gut verständlich geschrieben und ergänzt die aktuelle Debatte um wertvolle Erkenntnisse aus der Wissenschaft.
Der Unterschied
Frans de Waal
Klett-Cotta, 2022
ISBN 9783608119329
Dieses Buch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar über NetGalley zur Verfügung gestellt.