Happiness Falls

Ein vielschichtiger Roman um das mysteriöse Verschwinden eines Familienvaters, die Bedeutung von Sprache und die Relativität von Glück.

Ein Vater ver­schwin­det wäh­rend eines Aus­flugs in die Natur auf mys­te­riö­se Wei­se. Sein autis­ti­scher Sohn Euge­ne kehrt ohne ihn zurück nach Hau­se, kann aber nicht mit­tei­len, was pas­siert ist. Aus der Sicht sei­ner klu­gen Schwes­ter Mia erle­ben wir die fol­gen­den Stun­den und Tage auf der Suche nach Ant­wor­ten, zusätz­lich ver­schärft durch Ver­däch­ti­gun­gen der Poli­zei gegen Euge­ne. Die Hand­lung spielt zur Zeit der Pan­de­mie, was die Suche nicht nur zusätz­lich erschwert, son­dern auch die düs­te­re Grund­stim­mung wäh­rend des ers­ten Lock­downs wie­der in Erin­ne­rung ruft.

Ein zen­tra­les The­ma von „Hap­pi­ness Falls“ ist die Spra­che. Euge­nes spe­zi­el­le Form der Behin­de­rung macht es ihm unmög­lich zu spre­chen. Da er sei­ne Gedan­ken nicht in Wor­te fas­sen kann, wird er als geis­tig zurück­ge­blie­ben wahr­ge­nom­men, mit allen ent­wür­di­gen­den Kon­se­quen­zen – sogar in sei­ner ihn lie­ben­den Fami­lie. Dabei tei­len sei­ne Mut­ter und sei­ne Geschwis­ter die­ses The­ma in gewis­ser Wei­se. Die Mut­ter stammt aus Korea und wur­de ange­sichts ihrer anfäng­li­chen sprach­li­chen Schwie­rig­kei­ten in den USA plötz­lich ganz anders behan­delt als zuvor in Korea. So intel­li­gent und mit­teil­sam sie eigent­lich ist – die sprach­li­chen Schwie­rig­kei­ten lie­ßen sie in der Wahr­neh­mung ande­rer lang­sam und geis­tig min­der­be­mit­telt erschei­nen. Mia erin­nert sich an ähn­li­che Erfah­run­gen in der Zeit, als ihre Fami­lie für eini­ge Jah­re in Korea lebte.

Auch ohne eige­ne Migra­ti­ons­er­fah­rung konn­te ich mich gut mit die­sem The­ma iden­ti­fi­zie­ren, denn ich bin „mund­faul“ – ich rede nicht gern und nicht viel, mein Mit­tei­lungs­be­dürf­nis ist ein­fach nicht sehr aus­ge­prägt. Dadurch mache ich immer wie­der die Erfah­rung, dass Men­schen in mei­nem Umfeld über­rascht sind, wenn sie fest­stel­len, dass ich trotz­dem den­ke. Das Vor­ur­teil, Spre­chen mit Intel­li­genz, und im Umkehr­schluss Nicht-Spre­chen mit Dummheit/Tumbheit gleich­zu­set­zen, erstaunt mich immer wie­der. (Me being me – beim Lesen muss­te ich dar­an den­ken, wie auch Tie­re unter Ent­wer­tung zu lei­den haben, weil sie ihre Gedan­ken und Gefüh­le nicht auf für uns ver­ständ­li­che Wei­se mit­tei­len kön­nen und ihnen des­we­gen die Fähig­keit zum Den­ken und Füh­len gänz­lich abge­spro­chen wird.)

Euge­ne ist nicht nur Autist, son­dern hat zudem das Angel­man-Syn­drom, das sich in stän­di­gem Lächeln und Lachen äußert, wes­halb es auch Hap­py-Pup­pet-Syn­drom genannt wird. Das Gefühl von Glück und ins­be­son­de­re die Rela­ti­vi­tät von Glück ist ein wei­te­res zen­tra­les The­ma von „Hap­pi­ness Falls“, das sich wie ein Faden durch die Hand­lung zieht. Mias nerdi­ge Art, alles akri­bisch zu ana­ly­sie­ren, führt zu aus­schwei­fen­den Fuß­no­ten, in denen sie ihre mäan­dern­den Gedan­ken aus­führ­lich erläu­tert. Zusam­men mit den mathe­ma­ti­schen Berech­nun­gen von Glück wird die Hand­lung dadurch etwas lang­at­mig, den­noch ist das Buch gut zu lesen. Ich fin­de die Beschrei­bung als Page Tur­ner aller­dings irre­füh­rend, denn „Hap­pi­ness Falls“ ist kein rasan­ter Thril­ler, son­dern ein mit inter­es­san­ten psy­cho­lo­gi­schen Beob­ach­tun­gen gespick­ter, viel­schich­ti­ger Roman um eine Fami­lie, in der die Migra­ti­ons­ge­schich­te und das Leben mit einer Behin­de­rung prä­gend sind.


Buchcover "Happiness Falls" von Angie Kim

Hap­pi­ness Falls
Angie Kim
han­ser­blau Ver­lag, 2025
ISBN 9783446283763

Die­ses E‑Book wur­de mir als kos­ten­lo­ses Rezen­si­ons­exem­plar über Net­Gal­ley zur Ver­fü­gung gestellt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner