Die Titelgeschichte „Cat Person“, mit deren Veröffentlichung im New Yorker Kristen Roupenian schlagartig bekannt wurde und die zur Zeit der „#metoo“-Debatte großen Anklang fand und vielmals geteilt wurde, steht stellvertretend für das Lebensgefühl einer Generation. In dieser und vielen anderen Geschichten des Buches dreht sich alles um die Selbstverliebtheit der „Generation Beziehungsunfähig“, die mit einer selbsterschaffenen Scheinwelt á la Instagram aufgewachsen ist. Diese Generation reflektiert leichtfertig alle Wünsche und Phantasien in eine Person, die sie vielleicht nur online kennen gelernt hat oder mit der sie überwiegend per Textnachrichten kommuniziert, und über die sie eigentlich nicht wirklich viel weiß. In „Cat Person“ ist es die junge Margot, die den älteren Robert kennenlernt und sich wochenlang per SMS mit ihm unterhält. Nach einem ernüchternden Date geht sie mehr aus Höflichkeit mit ihm ins Bett. Sie fühlt sich mies, zerbricht sich noch tagelang den Kopf, wie sie mit ihm Schluss machen soll, was schließlich ihre Mitbewohnerin für sie erledigt – per SMS.
So much of dating involves this interplay of empathy and narcissism: you weave an entire narrative out of a tiny amount of information, and then, having created a compelling story about someone, you fall in love with what you’vre created.
Kristen Roupenian
So geht es auch der Prinzessin in der Geschichte „Der Spiegel, der Eimer und der alte Knochen“. Tausende von Verehrern halten um ihre Hand an, darunter viele attraktive und warmherzige Männer, von denen sie letzten Endes einen heiratet, da sie sich redlich bemüht, ihrer Verantwortung als angehende Königin gerecht zu werden. Sie ist sich bewusst, einen guten Mann an ihrer Seite zu haben, der sich sogar in sie verliebt und sie glücklich machen will, und doch schafft sie es nicht, seine Gefühle zu erwidern. Statt dessen liebt sie inniglich ein Konstrukt bestehend aus einem Spiegel, in dem sie sich selbst sieht, einem Eimer, in dem ihre eigenen Worte widerhallen, und einem Knochen, bei dessen Umarmung sie sich selbst fühlt. Obwohl sie sich darüber bewusst ist, schafft sie es nicht, sich von dieser sinnlosen Liebe zu lösen.
Ich glaube, Roupenian schreibt in ihren kurzweiligen Geschichten immer wieder über den K®ampf der heute jungen Generation, zwischen einer erfundenen und von ihrem Narzissmus genährten Scheinwelt und der realen Welt mit echten, selbstlosen Gefühlen zu unterscheiden. Die Sehnsucht nach gegenseitig erwiderter Liebe ist vorhanden, aber scheitert an absurden Erwartungshaltungen an das Objekt der Begierde und an sich selbst.
Ein weiteres Thema ihrer Kurzgeschichtensammlung ist das komplexe Gefüge von Machtverhältnissen in Freundschaften und Liebesbeziehungen. Gleich in der ersten Story „Böser Junge“ entwickelt sich eine harmlose Freundschaft zwischen einem Pärchen und einem in Liebeskummer versunkenen Freund in einen Psychothriller über sexuelle Sklaverei und Abhängigkeiten, die den Leser atemlos und kopfschüttelnd zurücklässt. Aber auch die Geschichte um vorpubertierende Schulmädchen auf einer Geburtstagsparty und deren harmlos wirkendes Lieblingsspiel „Sardinen“ entwickelt sich zu einem Horrorszenario, das den Leser fassungslos macht.
Kristen Roupenian versteht ihr Handwerk. Sie skizziert mit wenigen Worten genau das Nötigste, um den Leser sofort in den Bann ihrer Erzählung zu ziehen. Die Geschichten sind kurz, aber bringen treffsicher disharmonische Emotionen zum Klingen, die oft verstörend und verwirrend nachwirken. Teilweise sind sie effektheischend, teilweise wirken sie harmlos, fast langweilig, doch bergen sie immer genug Substanz um die Gedankenmaschinerie des Lesers noch über Tage am Laufen zu halten.
Cat Person
Kristen Roupenian
Aufbau Verlage, 2020
ISBN 9783746637297
Dieses Buch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag über die Plattform NetGalley zur Verfügung gestellt.