Es steht zwar „Roman“ drauf, es stecken aber jede Menge Erinnerungen drin, wenn man der Autorin Susanne Matthiesen glauben darf, die in ihrem Debut-Roman „Ozelot und Friesennerz“ von einer Kindheit in den 70er Jahren auf Sylt erzählt. In der Ich-Perspektive eines heranwachsenden Mädchens erleben wir das Wirtschaftswunder, den Aufstieg der Insel zum Mekka der nicht immer Schönen, aber Reichen, dem wilden Treiben von Promis und Proleten zwischen Dünen, Strand und Promenaden. Die Autorin wurde selbst 1963 auf Sylt geboren und hat den Wandel der Insel zum beliebten Ziel des Massentourismus miterlebt. Ihre Eltern besaßen ein Pelzgeschäft und so wundert es nicht, dass jedes Kapitel mit „Die Sache mit dem [Pelzname]“ beginnt. Der Erzählstil gleicht eher einer Aneinanderreihung von Anekdoten und Fakten, die immer eng verknüpft mit der im Kapiteltitel genannten Pelz-Kreation sind. Der Blick auf diese längst vergangene Zeit wirkt dadurch umso befremdlicher – gelten Pelze heutzutage doch (mit Recht) als verpönt. Doch bis in die 80er Jahre waren sie ein Statussymbol mit dem sich herrlich angeben ließ und so ergeben sich teils verrückte und humorvolle Geschichten rund um diesen Pelzladen, der das Lebensgefühl der Dekadenz, der Unbekümmertheit und Freiheit rüber bringt, die bis heute mit dem Namen Sylt mitschwingt.
Ich habe weder jene Zeit miterlebt noch war ich jemals auf Sylt, doch das Buch liest sich Dank des trockenen Humors der Autorin recht vergnüglich und mit manch gesellschaftskritischem Kommentar sogar auch lehrreich. Wer einen Bezug zu Zeit und/oder Insel hat, somit bei der Erwähnung von Orten und Namen auch ein Bild vor Augen hat, dürfte mit nostalgischen Gefühlen erst recht auf seine Kosten kommen.
Nicht zu überhören ist die Kritik der Autorin am Ausverkauf von Sylt durch die Sylter selbst. Was in den 60ern mit grotesken Bausünden beginnt ist bis heute ein Problem. Nicht nur wurde die einzige Geburtsstation auf Sylt 2014 geschlossen, es wandern auch immer mehr Sylter aufs Festland aus, weil Mieten und Grundstückspreise für sie unbezahlbar geworden sind. Die Insel schwindet nicht nur mit dem Verlust von Sandküste und Naturlandschaft, auch ein gutes Stück friesischer Kultur geht verloren. Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, wird man nur noch durch Bücher wie dieses einen melancholischen Blick zurück werfen können.
Ozelot und Friesennerz
Susanne Matthiessen
Ullstein, 2020
ISBN 9783550200649
Dieses Buch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag über die Plattform Vorablesen zur Verfügung gestellt.