Die gereizte Frau

Die Coming-of-Middle-Age-Story der Kulturjournalistin Miriam Stein, mit der sie Frauen in den Wechseljahren eine Stimme und einen Platz in der Öffentlichkeit gibt.

Spi­nat­wach­tel, Schab­ra­cke oder Schreck­schrau­be? Ich kann mich nicht ent­schie­den, wel­ches Schimpf­wort für „gereiz­te Frau­en“ aus Miri­am Steins Buch ich am bes­ten fin­de. Die Lis­te ist noch län­ger und macht klar, was von Frau­en all­ge­mein gehal­ten wird, die hor­mo­nell bedingt plötz­lich unter gele­gent­li­chem Kon­troll­ver­lust lei­den – und dabei mer­ken, wie wun­der­bar befrei­end es sein kann, sich nicht mehr um die Mei­nung ande­rer zu scheren.

In „Die gereiz­te Frau“ geht es weni­ger um Sym­pto­me, als eher um den gesell­schaft­li­chen Umgang mit den Wech­sel­jah­ren und wie Frau­en damit umge­hen, wie sie gese­hen wer­den und sich selbst sehen, wenn das Älter­wer­den plötz­lich und uner­war­tet spür­bar wird. Es geht um Schön­heits­idea­le, das Leben mit der Frucht­bar­keit und dem Ende der­sel­ben, Aus­wir­kun­gen auf die Arbeits­welt und Wirt­schaft, Lebens­sinn, Neu­ori­en­tie­rung und Umbrü­che, laut sein und sich frei machen von gesell­schaft­li­chen Konventionen. 

Miri­am Stein inter­view­te Frau­en, die sich auf unter­schied­li­che Wei­se damit aus­ein­an­der­set­zen, z.B. die Jour­na­lis­tin und Schrift­stel­le­rin Mir­na Funk, die nicht nur ganz selbst­be­stimmt lebend ohne Mann eine Toch­ter bekam, son­dern sich auch Eizel­len ein­frie­ren ließ, falls sie in einem Alter noch­mal schwan­ger wer­den möch­te, in dem das nicht mehr so ohne wei­te­res mög­lich ist. Die Autorin reis­te extra zur Pra­xis von Dr. Shei­la de Liz nach Wies­ba­den, um sich von der Frau­en­ärz­tin und Autorin des Best­sel­lers „Woman on Fire“ über die natur­iden­ti­sche Hor­mon­the­ra­pie bera­ten zu las­sen. In Ber­lin spricht sie mit Prof. Dr. The­da Bor­de, die mit einem Kol­le­gen zusam­men eine Stu­die zu den Wech­sel­jah­ren unter deut­schen Frau­en sowie Immi­gran­tin­nen aus dem asia­ti­schen und tür­ki­schen Kul­tur­raum durch­führ­te und auf sozio­kul­tu­rel­le Ein­flüs­se ein­geht. Noch vie­le wei­te­re inter­es­san­te Frau­en kom­men in die­sem Buch zu Wort.

Für die Autorin ist der kul­tu­rel­le Aspekt auch des­halb inter­es­sant, weil sie als in Deutsch­land auf­ge­wach­se­nes Adop­tiv­kind aus Süd­ko­rea mit dem Vor­ur­teil „Asia­tin­nen haben kei­ne Wech­sel­jah­res­be­schwer­den“ kon­fron­tiert wird und dem auf den Grund gehen will. Denn sie hat durch­aus Beschwer­den. Unge­niert beschreibt sie auch die ekli­gen Details, die für sie selbst so ver­un­si­chernd sind, eben weil zu wenig dar­über gere­det wird. Zu lan­ge schon leben Frau­en mit dem Druck, das Altern und die damit ver­bun­de­nen Neben­wir­kun­gen für sich zu behal­ten und zu kaschieren.

Die­ses Buch liest sich unter­halt­sam wie ein Maga­zin-Arti­kel: ein Mix aus Fak­ten und aktu­el­ler Stu­di­en­la­ge, aber auch aus Por­träts, per­sön­li­chen Erfah­run­gen und Mei­nun­gen, durch­aus und zurecht emo­tio­nal auf­ge­la­den. Damit ist es eine tol­le Ergän­zung zu Auf­klä­rungs­bü­chern und Rat­ge­bern, denn es bie­tet zusätz­li­ches Hin­ter­grund­wis­sen und jede Men­ge Denk­an­stö­ße. Vor allem aber macht es dar­auf auf­merk­sam, wie unwis­send und unvor­be­rei­tet Frau­en in die Wech­sel­jah­re schlit­tern – und war­um das nicht ein­fach nur ein medi­zi­ni­sches Frau­en­pro­blem­chen ist, son­dern ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches und poli­ti­sches Thema!


Buchcover "Die gereizte Frau" von Miriam Stein

Die gereiz­te Frau
Miri­am Stein
Gold­mann, 2022
ISBN 9783442316489

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