Oliver Pötzsch erzählt in seinem Roman „Der Spielmann“ die Lebensgeschichte der historischen Figur Johann Georg Faustus, der nicht nur Goethe zu seinem berühmten Werk inspirierte. Man merkt, dass Pötzsch gut recherchiert hat, dennoch liegen viele Fakten um diesen mysteriösen Faust, der um das Jahr 1500 herum in Deutschland lebte, im Dunkeln. Und hier kommen die Qualitäten eines guten Romanautors zum Tragen, denn Pötzsch verwebt auf unterhaltsame Weise Fiktion und Realität, sodass man als Leser schnell in dieser schmutzig-schönen Welt des dunklen Mittelalters versinkt und mit dem Protagonisten mit fiebert.
Alles beginnt mit dem kleinen Jungen Johann in Knittlingen, der zwar schmächtig von Gestalt ist, aber intelligent und wissbegierig – nicht gerade die besten Voraussetzungen in einer Gesellschaft, die eisern an den Lehren der Kirche festhält und in der Andersdenkende schnell mal auf dem Scheiterhaufen enden. Der Junge ist fasziniert von den umher ziehenden Gauklern und Magiern und geht nach einer Verkettung schicksalhafter Ereignisse selbst bei einem zwielichtigen Magier in die Lehre. So beginnt eine lange Reise, die Faust nicht nur über europäische Grenzen führt, sondern auch an seine eigenen moralischen Grenzen in der Grauzone zwischen schwarz magischen Teufelsanbetern und freigeistigen Wissenschaftlern, zwischen Liebe, Verrat und wahren Werten.
Mit gefällt besonders, das Deutschland jener Zeit kennenzulernen – dieser Flickenteppich von Herzogtümern und kleinen Königreichen mit ihren unterschiedlichen Mentalitäten und regionalen Eigenheiten. Amerika wird gerade erst entdeckt (und lange für Indien gehalten) und waghalsige Wissenschaftler stellen die Behauptung auf, die Erde sei eine Kugel und drehe sich um die Sonne!
Pötzsch erzählt sehr fließend und kurzweilig. Ich kenne weder Goethes Faust noch eine andere Interpretation des Stoffs, aber habe das zu keiner Zeit meiner Lektüre bedauert. Erst als ich schon mitten im Buch versunken war, habe ich die Handlung um Goethes Faust recherchiert und einige Parallelen, aber auch kreative Umdeutungen festgestellt. Für Goethe-Kenner ist die Lektüre von „Der Spielmann“ sicherlich ein noch größeres Vergnügen. Im Anhang zeigt Pötzsch noch auf, an welchen Stellen er Goethe zitiert hat. Auch der kleine Reiseführer auf den Spuren seines Johann Faustus ist eine schöne Zugabe und macht Lust auf eine Entdeckungsreise durch Deutschland.
Der Spielmann
Oliver Pötzsch
Ullstein, 2019
ISBN 9783548061191
Dieses Buch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag über die Plattform Vorablesen zur Verfügung gestellt.