Grönemeyer

Sieht aus wie eine Biografie, ist es aber nicht. Stattdessen ist dieses Buch eine ausführliche wissenschaftliche Abhandlung über Grönemeyers Werk. Der Mensch dahinter bleibt distanziert.

Wie Stern­schnup­pen blitz­ten Grö­ne­mey­ers Lie­der spo­ra­disch in mei­nem Leben auf. Wer in der BRD der 80er auf­ge­wach­sen ist, kam um sei­ne Hits wie „Bochum“, „Män­ner“ und „Kin­der an die Macht“ nicht her­um. Klug, humor­voll und ein­gän­gig, das gefiel dem klei­nen Wort­knäu­el. 2002 tauch­te er ganz unver­hofft mit sei­nem berüh­ren­den Lied „Mensch“ noch­mal auf. Vage erin­ne­re ich mich, dass er damit die Trau­er um sei­ne ver­stor­be­ne Frau ver­ar­bei­te­te. Und jetzt plötz­lich sprang mich das Cover die­ses Buches an. Mit die­sem Buch, dach­te ich, wür­de ich mehr über den Men­schen hin­ter den prä­gen­den Songs erfah­ren. Um es kurz zu machen: ich wur­de enttäuscht.

Die Erzähl­wei­se von Micha­el Lentz ist extrem tro­cken, intel­lek­tu­ell und wis­sen­schaft­lich. Der Autor seziert und ana­ly­siert Grö­ne­mey­ers Werk unter Ver­wen­dung vie­ler Fremd­wör­ter und lan­ger, ver­schach­tel­ter Sät­ze. Anfangs schmun­zel­te ich noch kopf­schüt­telnd über sei­ne For­mu­lie­run­gen, doch bald emp­fand ich die Lek­tü­re nur noch als anstren­gend. Vie­le Kapi­tel las ich dann quer – der Inhalt dürf­te nur für hart­ge­sot­te­ne Musik­theo­re­ti­ker inter­es­sant sein. Nicht nur Grö­ne­mey­ers Büh­nen­mu­sik, auch die Pop-Songs ana­ly­siert der Autor äußerst sach­lich, statt uns die dahin­ter ste­hen­den Geschich­ten und Emo­tio­nen zu erzäh­len. Das liest sich dann zum Bei­spiel so (über die Songs des Albums „Zwo“):

‚Ich habe dich lieb‘ ist ein kon­sis­ten­ter, zwi­schen Lie­bes­wer­ben und Abschied krei­sen­der Text mit annä­hernd regel­mä­ßi­ger Reim­struk­tur, die Zei­len­brü­che erfol­gen nach Satz- und Sinn­ein­hei­ten, was den Schluss zulässt, dass der Text – anders als auf den Fol­ge­al­ben – vor der Musik geschrie­ben wur­de. […] Gegen­über den doch ganz in eine kon­ven­tio­nel­le Lie­bes­prag­ma­tik ein­schwen­ken­den Stro­phen setzt allein der Refrain (‚Ich hab dich lieb, so lieb‘) text­li­che und musi­ka­li­sche Erinnerungsmarken.

Dem Men­schen Grö­ne­mey­er kommt man auf die­se Wei­se nicht nahe, dem Musi­ker viel­leicht eher. Sei­ne beruf­li­che Ent­wick­lung, sei­ne Metho­dik, sei­ne Her­an­ge­hens­wei­se an Musik wird struk­tu­riert und aus­führ­lich dar­ge­legt. Auch sein gespal­te­nes Ver­hält­nis zur Schau­spie­le­rei wird ver­ständ­lich. Aber der Her­bert Grö­ne­mey­er der emo­tio­na­len Song­tex­te, der Mensch, der bleibt blass und distanziert.

Die­ses Buch ist kei­ne Bio­gra­fie. Für Musik­schaf­fen­de viel­leicht wert­voll, aber weni­ger für jene, die dem Men­schen Grö­ne­mey­er in die See­le bli­cken wollen.


Grö­ne­mey­er
Micha­el Lentz
S. Fischer Ver­la­ge, 2024
ISBN 9783103975857

Die­ses E‑Book wur­de mir als kos­ten­lo­ses Rezen­si­ons­exem­plar über Net­Gal­ley zur Ver­fü­gung gestellt.

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