Wow! Ein Augenöffner-Buch, das wirklich jeder Mensch gelesen haben sollte, aber ganz besonders wenn du gestaltest – seien es Gegenstände, Räume, Sprache – oder forschst … Ich hatte eigentlich gar nicht erwartet, bei der Lektüre so viele Aha-Momente zu erleben, habe ich im Laufe meines Lebens doch mehr als genug davon am eigenen Leib erfahren. Momente der Bewusstwerdung darüber, dass ich für den Rest der Welt offenbar von der Norm abweiche (aus verschiedensten Gründen: Frau, klein, leise, migrantisch), harmlos angefangen beim Betreten der Buchhandlung, wenn mein Blick auf die Abteilung „Frauenliteratur“ fällt (wo bitte geht’s zur „Männerliteratur“?), bis hin zu heiteren Herrenrunden, die meinen Vorschlag a b s u r d komisch finden, das x‑te Firmenfahrrad ausnahmsweise mal für Personen kleiner 1,75 Meter und mit niedrigem Einstieg anzuschaffen.
Wichtig für alle, die jetzt in „Das Patriarchat der Dinge“ eine feministische Hassrede gegen Männer befürchten: keine Sorge! Die Autorin Rebekka Endler stellt klar, dass in einer idealen Welt „die Dinge“ natürlich für alle passend gestaltet wären: Frauen, Männer, Kinder und Alte, Arme und Reiche, Menschen mit Behinderungen, Menschen verschiedener Kulturen und Ethnien, LGBTQI. Sie zeigt an vielen gut belegten Beispielen auf, wo das nicht der Fall ist. Weil das Maß aller Dinge der reiche, weiße Mann ist. Weil unsere Welt von Männern für Männer gestaltet wurde und wird. Es geht u.a. um Toiletten, Fußballschuhe, Medikamente, Fahrzeugsicherheit, Wikipedia, Medien und Sprache.
Die Autorin trägt mit ihren eigenen Erfahrungen natürlich auch eine Wut in sich, die ich gut nachvollziehen kann. Dennoch empfinde ich ihre Sprache als sehr sachlich und alle Perspektiven berücksichtigend (schlimm, dass ich das betonen muss) sowie gut recherchiert (das Buch bietet einen umfangreichen Fußnoten- und Quellenteil). Wie sie im Vorwort schreibt, hat sie versucht „das fragile männliche Ego mitzudenken und Nasen mit Vorsicht zu brechen“. Denn auch das entspricht meiner Erfahrung: die sonderbaren Reaktionen, wenn privilegierte Männer mit der Forderung nach einem gesellschaftlichen Wandel oder auch nur mit einer anderen Perspektive konfrontiert werden. Die Angst, man könne ihnen etwas weg nehmen und die daraus resultierende Aggression oder eben das ins Lächerliche ziehen (siehe oben).
Was mir bei der Lektüre eben auch durch manchen Aha-Moment erst klar geworden ist: viele patriarchale Strukturen stecken so tief in uns drin, dass sogar die davon Benachteiligten sie als selbstverständlich und unveränderbar ansehen. Aber hey, das muss ja nicht so bleiben!
Daher: Lest dieses Buch! Bitte! Alle!
Das Patriarchat der Dinge
Rebekka Endler
DuMont, 2021
ISBN 9783832166298
Dieses Buch wurde mir als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag über die Plattform NetGalley zur Verfügung gestellt.